DER SINGENDE WEINKELLNER



Ein in klassisches Schwarz gekleideter Sommelier steht am Tisch und präsentiert seinen Gästen eine mit verschiedenen Musiktiteln versehene Weinkarte. Im Vorfeld seines a cappella-Liedvortrags bietet er mit liebenswürdiger Selbstverständlichkeit eine sorgfältige Beratung über die Auswahl eines passenden Titels an, wie es sich bei einem Service der gehobenen Art geziemt – hier allerdings mit verdrehtem Wortsinn und unerwarteten Erwiderungen.

Verträgt die werte Frau Gemahlin die Traurigkeit des ausgesuchten Stückes oder wünscht sie sich eher etwas Liebliches? Vor der Trockenheit gewisser ironischer Titel wird gewarnt. Empfohlen wird hier ein spritziger Italiener, dort ein süffiger Österreicher. Eine Tradition des Hauses wird erläutert, wonach das vom Gast ausgewählte Lied eigentlich von ihm selber gesungen werden soll...

Hinter diesem um Eleganz und Diskretion bemühten Diener steckt ein wendiger Drahtzieher, der seine Gäste durch subversiven Charme und gewinnende, nie taktlose Frechheit unweigerlich dazu bringt, miteinander zu lachen, mitunter sogar aus voller Kehle im Chor zu singen. Er versteht es, sie zu einem spontanen und spannenden Rollenspiel zu animieren und ihnen daraufhin mit seiner warmen, lyrischen Tenorstimme einen erlesenen musikalischen Trunk zu kredenzen.

Beim Durchblättern der „Musikalischen Weinkarte” finden die neugierigen Gäste manche Überraschungen oder sogar ihre Lieblingslieder unter dem üppigen Angebot an Operettenmelodien, Broadway-Songs, Canzoni di Napoli, Filmmelodien, Rock-Oldies, Jazz-Standards und deutschen Schlagern der 20er und 30er Jahre. Von Hand zu Hand weitergereicht, am Nachbartisch schon eifrig erwartet, erzeugt die Karte eine Welle der Begeisterung und eine bunte Reihenfolge von Liedern.

Vor dieser musikalischen Darbietung kann der komische Kellner über mehrere Stunden auftreten. Genauso wie das sonstige Bedienungspersonal arbeitet er anfangs unauffällig beim Getränkeservice. Allmählich aber wird seine gastronomische Aufgabe mit unerwartetem Benehmen und überraschenden Bemerkungen bereichert. Es gibt keinen dummen Klamauk, keine respektlosen Witze über die Gäste; stattdessen werden sie eingeladen, aktiv mitzuspielen und an dem zunehmenden Spaß teilzunehmen. Mit neugieriger Begeisterung fragen sie sich, welche schlagfertigen Wortspiele und geistreichen Pointen dieser perfekt parlierende Diener noch auftischen wird. Die kombinierte Darbietung bietet den Gästen eine doppelte Überraschung — zuerst die amüsierte Feststellung, daß dieser Mann kein gewöhnlicher Kellner ist, dann die krönende Entdeckung seiner musikalischen Fähigkeiten.

Die Unterhaltung mit den Gästen findet auf deutsch, englisch, französisch und italienisch statt – nicht stockend mit nur ein paar Brocken, sondern fließend und mit reichhaltigem Wortschatz.




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